Beim Durchblättern gängiger Reisekataloge und Internetseiten über das Tourismusland Kambodscha wird man Motive von friedliebenden buddhistischen Mönchen, lächelnden Kinder am Straßenrand, folkloristisch gekleideten Tänzerinnen und natürlich der Märchenwelt „Angkor Wat“ entdecken. Damit werden typische asiatische Klischees bedient. Im Urlaub kommt es dadurch unweigerlich zu einer Exotisierung und Vermarktung des Fremden.
Was ist eigentliche Exotisierung?
Während in der Xenophobie – der sog. Fremdenangst bzw. Fremdenfeindlichkeit – eine Grundeinstellung vorherrscht, die Menschen aus einer anderen Kultur ablehnt, wird im Exotismus alles Fremde bewundert. Es übt eine besondere Anziehungskraft aus. Das Andere wird demnach tendenziell zu positiv oder zu negativ, auf jeden Fall aber emotional gefärbt gesehen.
Wie Du vielleicht in unserem Blog-Beitrag über Kambodscha gelesen hast, haben wir in Siem Reap in einer wunderschönen Hotelanlage im Reisfeld-Village-Stil gewohnt. Hier konnten wir eine besondere, für uns neue Form von Exotisierung beobachten. Daher wollen wir das Phum Baitang als Beispiel nutzen.
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Die „Marc O’Polo Reisbauern“
Auf der Internetseite des Resorts wird werbewirksam auf die eigenen Reisfelder aufmerksam gemacht: „Take a breath of fresh air and enjoy the magnificent views of the resort’s own rice paddies and luscious gardens!“
Als Gast hat man jedoch nicht nur die üppigen Reisfelder im Blick, sondern auch die hart arbeitenden Reisbauern. Schon bei der Ankunft stechen sie ins Auge. Sie scheinen wunderbar in die authentische Countryside-Hotel-Landschaft zu passen. Doch vom ersten Moment an dachten wird: hier stimmt etwas nicht.
Die Farmer werden wie auf einer Bühne präsentiert und tragen als Dienstkleidung ein stylisches Outfit, das eher an das schwedische Marc O’Polo-Label erinnert als an kambodschanische Alltagsbekleidung.
Bei den Hotelgästen ist die tägliche Inszenierung von Feldbearbeitung mit Wasserbüffel, Pflanzung und Ernte äußerste beliebt, gibt sie doch ein dankbares Fotomotiv ab. Die hellblauen Leinenblusen harmonieren hervorragend mit den hellgrün leuchtenden Gräsern, die weißen Hosen mit dem erdbraunen Schlamm der Felder. Dieses trügerische Bild einer heilen Welt verleitet in jeder Hinsicht zu Exotisierung. Man ist schnell fasziniert von den lächelnden, hübsch gekleideten Arbeitern. Im Urlaubsbericht für die Daheimgebliebenen heißt es dann: „sie sind zwar arm und müssen hart arbeiten, aber sie sehen so glücklich aus“.
Urlauber reagieren auf diese Art und Weise, weil Welten zwischen ihnen und den Reisbauern liegen. Es besteht genügend Differenz, um Verwunderung und Begeisterung zu empfinden. Das ist der beste Nährboden für Exotisierung. Aber stimmt es denn wirklich, dass sie so „happy“ sind, während sie ihre Arbeit verrichten? Oder wird hier der einheimischen Bevölkerung ein idyllisches Reisbauern-Image verpasst, das in keinerlei Hinsicht der Wirklichkeit entspricht?
Das Leben auf 2 Bühnen
Es ist anzunehmen, dass diese erzwungene „Verkleidung“ während der Arbeit Folgen für das Wertesystem des Personals hat und somit die Kultur Kambodschas verformt. Ein nützliches Konstrukt zur Veranschaulichung der hier ablaufenden Mechanismen ist das Vorderbühne/Hinterbühne-Modell von Erving Goffman. Die Reisbauern verhalten sich den Gästen gegenüber anders als untereinander. Das führt dazu, dass sich ihr Leben auf einer Vorder- und einer Hinterbühne abspielt.
Auf der Vorderbühne findet die Begegnung zwischen den Urlaubern und den einheimischen Hotelangestellten statt. In unserem Beispiel werden die Arbeitsweisen von Reisbauern zur Schau gestellt. Dem Touristen wird jene Authentizität vorgespielt, die er sucht. In Wirklichkeit gibt es die aber nicht.
Die Hinterbühne ist dann der Bereich, in den sich die Reisbauern vor den Urlaubern zurückziehen und ihr Alltagsleben ohne Feriengäste gestalten. Dies gelingt aber nicht auf Dauer, da die Dienstleistungskultur der Vorderbühne die Hinterbühne immer mehr durchdringt und schrumpfen lässt, so Goffmann.
Trotz aller Kritik möchten wir an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir wunderbare Tag in diesem Hotel verbracht haben. Wir können das Phum Baitang von ganzem Herzen empfehlen. Die Geschichte der Marc O’Polo Reisbauern steht lediglich stellvertretend für viele andere Exotisierungsfallen im Tourismus.
Möglicherweise fallen Dir jetzt weitere Beispiele dazu ein. Wenn ja, freuen wir uns, wenn Du sie mit uns teilst. Nutze dazu den Kommentar zu diesem Blog.
Alternative für das Hotel
Grundsätzlich können wir der Idee, den Hotelgästen die traditionelle Kulturtechnik des Reisanbaus zu zeigen und hautnah erlebbar zu machen, etwas abgewinnen. Doch wäre eine sensiblere Herangehensweise wünschenswert. Was man beispielsweise tun hätte können:
- Die Reisfelder statt im Zentrum der Anlage in einem Randbereich anordnen. Damit würde der Druck auf die Mitarbeiter durch das permanente Beobachtetwerden abgeschwächt. Die Hotelanlage selbst würde den sich derzeit förmlich aufdrängenden Eindruck eines kolonialen Landgutes verlieren.
- Die Designerkleidung könnte durch praktische und landesübliche Arbeitskleidung ersetzt werden.
Interkulturelle Begegnungen
Auf unseren Reisen haben wir bereits mehrfach positive Beispiele für die authentische Vermittlung von regionalem Alltagsleben und Brauchtum in Beherbergungsbetrieben kennenlernen dürfen. Sei es die Bewirtschaftung eines ayurvedischen Kräutergartens in einem südindischen Hotel oder das Miteinander Kochen in einer Lodge in Ladakh. Echtes Erleben statt oberflächlichem Schein.
2 Schritte, um den eigenen Blick zu schärfen
Unser Anliegen ist es, mit diesem Artikel Deinen Blick für Exotisierung zu schärfen. Im ersten Schritt könntest Du zukünftig auch einen Blick hinter die Kulissen werfen und mit den Einheimischen in Kontakt kommen, um mehr über ihr Leben zu erfahren.
In unserem Kambodscha – Blog bringen wir ein Beispiel dazu: das Interview mit dem Motorrikscha-Fahrer Chanra Chhoy. In einem persönlichen Gespräch erzählt der sympathische Familienvater über seine 2 Jobs, seine Visionen und seine größten Herausforderungen.
Im zweiten Schritt solltest Du Dir folgende kritische Fragen stellen, wenn Du zu Hause über Deinen Aufenthalt im Urlaubsland berichtest:
- Welche Wirklichkeiten konstruiere ich mit meinen Erzählungen?
- Vermittle ich damit, dass alles besonders anders und extrem ist?
- Mache ich mir deutlich, dass das, was für mich ein Abenteuer war, für viele Menschen Teil ihres Alltags bzw. Teil von Ausbeutung sein kann?
- Beschreibe ich auch Lebensrealitäten, die meinen „exotisierenden Blick“ enttäuscht haben?
- Vermeide ich es, die Lebensweisen von Menschen aus dem Urlaubsland zu romantisieren?
Fluchthelfer aus dem Alltag
Als Reiseblogger sind wir auch Fluchthelfer und entführen Dich mit so manchen Erzählungen in echte und falsche Paradiese. Wir sind uns dessen durchaus bewusst. Aus diesem Grund wird es in Zukunft auch kritische Beiträge von uns geben, damit der Spagat zwischen Reisesehnsucht und einem echten Eintauchen in fremde Kulturen gelingen kann.
Weitere Geschichten aus Kambodscha gibt es hier zu lesen:
Angkor: Archäologisches Disneyland oder verträumte Tempelanlage?
Landpartie mit der Motorrikscha
Autorin: Marlies
2 Comments
Liebe dreamingbalu`s,
sehr spannend, eure Gedanken zum Exotismus. Manches sieht man erst, wenn es einem erklärt wird – so hätte ich die Uniformen der Reisarbeiter einfach nicht wahrgenommen, und auch nicht was dahinter steckt.
Schön finde ich auch eure Impulse, Einzelpersonen wie den RikshaFahrer zu promoten. Dazu fällt mir noch ein, dass wir in Österreich eine uralte Exotismus-Kultur haben, wie wohl überall wo der Tourismus eine echte Einnahmequelle ist. Vieles gäbe es nicht so schön und prächtig, wenn der Tourismus es nicht mitfinanzieren würde. Brauchtum wie der Glökklerlauf in Ebensee zb. oder Alles in St. Wolfgang oder in Tirol, wo das Ganze schon vor 30 Jahren in der „Alpensaga“ satirisch betrachtet wurde. Oder die südsteirische Weinstrasse – zwischen dem was der weinselige Tourist wahrnimmt und dem tatsächlichen Leben der Leute dort ist ein himmelhoher Unterschied.
Ich freue mich auf weitere Berichte und kritische Blickwinkel! Herzlich, Judith
Liebe Judith,
vielen Dank für deine österreichischen Beispiele. Ich bin ganz deiner Meinung … es gibt sowohl positive als auch negative Auswirkungen des Tourismus auf die jeweilige Region. Wichtig ist, dass man sich dessen bewusst ist und nicht alles kritiklos durch die rosarote Brille betrachtet. Für unsere nächste Reise ist ein weiteres spannendes interkulturelles Projekt geplant. Mehr dazu im April. Liebe Grüße, Marlies